daslamm.ch macht Journalismus für die Zukunft
Natalina Haller
Der Name klingt harmlos. Doch dahinter verbirgt sich ein Team von kritischen NachwuchsjournalistInnen, die nicht locker lassen. Das digitale Zukunftsmagazin das Lamm macht Journalismus mit Haltung. Lamm-Redaktorin Anna Haselbach erzählt, wie alles an einem WG-Küchentisch begann, und warum das Team auch dann mit dem Journalismus weitermachen wird, wenn sich kein Rappen damit machen lässt.
Der 21. September 2009: Die Stimmung am Küchentisch der Zürcher WG ist euphorisch. Es hat tatsächlich jemand zurückgeschrieben! Die Umweltnaturwissenschafterin Alexandra Tiefenbacher regt sich schon lange darüber auf, dass die Stadt Zürich den Kompost nicht sammelt – und hatte kurzerhand nachgefragt, warum. Soeben hat sie eine Mailantwort bekommen von der Stadt. Keine plausible Erklärung zwar, aber immerhin: Der Herr von der Verwaltung hat sich die Mühe gemacht, zurückzuschreiben. Damit hat sie etwas in der Hand, um weiter nachzuhaken. „Ich möchte mehr Antworten!“ Michael Schilliger hingegen, Politologiestudent und ihr Mitbewohner, kümmert weniger, dass die Erklärung aus ökologischer Sicht wenig Sinn ergibt. Ihn fasziniert die ausführliche Antwort der Stadt. „Hier gibt es tolle Stories, die wir erzählen könnten!“ So entsteht der erste Text auf dem Lamm-Blog, „Wieso hat Zürich keine Kompostsammlung?“: Aus dem Bedürfnis nach Informationen für eine zukunftsfähige Lebensweise und aus Leidenschaft für gute Geschichten.
Fragen als journalistisches Konzept
Das Konzept ist so simpel wie einleuchtend: Alexandra und Michael beobachteten, dass Unternehmen und Institutionen trotz vollmundiger gegenteiliger Versprechen nicht nachhaltig wirtschaften. Aus KonsumentInnenperspektive fragen sie bei den Verantwortlichen nach, warum sie das tun. Warum ist das Biogemüse doppelt verpackt? Warum müssen bei einem Coiffeur nachts die Lichter brennen? Anschliessend veröffentlichen sie die (meist unbefriedigende) Antwort verpackt in eine Story. Damit führen sie den LeserInnen vor Augen, dass es sich lohnt, nachzufragen – dass ihr Konsumverhalten direkte Auswirkungen hat. Und zeigen, dass Journalismus mit Haltung etwas bewirken kann.
Heute, gut sechs Jahre später, ist aus den zwei WG-MitbewohnerInnen ein Team von zwölf ambitionierten, leidenschaftlichen JungjournalistInnen geworden. Und wir fragen immer noch. Inzwischen allerdings sind unsere Fragen allumfassender und die Themen komplexer geworden. Wir schreiben nicht mehr nur als KonsumentInnen, sondern nehmen beispielsweise politische Initiativen unter die Lupe, recherchieren, warum Palmöl so schädlich ist, oder porträtieren Personen, die mit ihrem unkonventionellen Lebensstil zeigen, dass auch Wohnformen jenseits von Einfamilienhaus und Pärchenwohnung funktionieren.
Diese inhaltlichen Veränderungen haben sich auch in der Form niedergeschlagen. Das Lamm gibt es jetzt auch auf Instagram, und dank unserer neuen, modularen Website können auch PendlerInnen in der S-Bahn auf dem Handy oder Tablet bequem unsere Artikel lesen. Daneben experimentieren wir mit verschiedenen innovativen journalistischen Formaten. Mit Erfolg. Rund 8000 Personen besuchen unsere Homepage pro Monat, und über 1000 LeserInnen haben unseren Newsletter abonniert.
Beim interdisziplinären Team aus Umwelt-, Sozial- und und GeisteswissenschaftlerInnen sind wir seit dem Küchentischmeeting von 2009 geblieben. Die Mischung führt manchmal zu hitzigen Diskussionen an den Redaktionssitzungen. Aber gleichzeitig finden wir viele der spannendsten Stories dort, wo unsere verschiedenen Blickwinkel aufeinandertreffen.
Ein zukunftsfähiges Finanzierungsmodell für das Zukunftsmagazin?
Damit das so bleibt entwickeln wir im Moment ein langfristiges Finanzierungsmodell. Bis jetzt arbeiten wir alle ehrenamtlich. Doch die Luft wird langsam dünn: Bereits jetzt investieren einige Lamm-RedaktorInnen bis zu 20 Stunden pro Woche in das Lamm. Deshalb soll neben Einzelspenden eine Mitgliedercommunity das Lamm mittragen. Dieses Modell ist nach wie vor das einzige, das unsere Unabhängigkeit garantiert. Und wir sind überzeugt, dass es in der Schweiz genug Leute gibt, die unsere Vision teilen und die bereit sind, für gut gemachten, differenzierten Journalismus zu bezahlen.
Es wird nicht einfach, das ist uns klar. Die Vorstellung, dass Onlinejournalismus gratis zu sein hat, hält sich hartnäckig in den Köpfen. Doch ein Versuch ist es allemal wert – und sei es nur, um wieder einmal darauf aufmerksam zu machen, dass guter Journalismus teuer ist. Und dass es verdammt schwierig ist, völlig unabhängigen, kritischen Journalismus zu betreiben. Sollten wir scheitern, machen wir trotzdem weiter, so gut es geht. Weil wir das Schreiben lieben und weil es heute mehr denn je Journalismus braucht, der darüber schreibt, wie unser Konsumverhalten, unsere Politik und unsere Lebensweise die Gesellschaft von morgen formt. Und für die Spenderin, die letzte Woche auf dem Spendeneinzahlungsschein vermerkt hat: „Danke für das, was ihr tut“.
P.S.
Wir suchen übrigens laufend Verstärkung! Bist du jung, engagiert und weisst, wie man komplexe Themen in präzise und spannende Texte giesst? Hast du Lust, das Lamm mitzugestalten? Dann lies hier weiter.
Anna Haselbach