Kein Softwareprojekt à la Seco - Dafür eines von engagierten Journalist_innen
Natalina Haller
Komplexe Software zu entwickeln, die obendrein brauchbar ist, gehört wohl zu den grossen Herausforderungen unserer Zeit. Das Online-Magazin Tink.ch hat versucht, das zu meistern. Sogar ohne Amtsmissbrauch, dafür mit Ehrenamt.
Manchmal, da verschwinden sie einfach. Die Millionenbeträge. Sie versickern in unbrauchbaren Software-Projekten beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) oder zuletzt in einem Suchsystem der Bundesverwaltung für ein Intranet. Bei ersterem haben die Verantwortlichen 100 Millionen Franken, bei letzterem knapp eine Million in den Sand gesetzt. Die neuen IT-Systeme von Tink.ch haben etwa 30'000 Franken gekostet. Die Webseite und das neue Social-Intranet von Tink.ch verfügen sogar über eine funktionierende Suche und modernste Internettechnologie. Und jeder Franken wurde in einer PHP-Klasse implementiert.
Freilich. Der Vergleich ist ein augenzwinkernder Anflug von Grössenwahn. Die Projekte sind in ihrer Grösse und Komplexität nicht vergleichbar. Und doch haben sie eines gemeinsam mit jedem anderen Software-Projekt: Ihr Aufwand wird von Beginn weg unterschätzt.
Denn Software zu schreiben ist nicht einfach eine Aufgabe für Redbull trinkende Informatik-Nerds mit Hornbrille und Pickel im Gesicht. Software zu schreiben ist eine umfassende Angelegenheit, es ist eine integrative Disziplin mit unzählbar vielen Ansprüchen. Diese Erfahrung hat auch ein Team bei Tink.ch gemacht. Zwei Informatik-Nerds mit Hang zum Normalmenschentum haben zusammen mit einem ganzen Team in den letzten eineinhalb Jahren alles gegeben. Die beiden (natürlich sind es Männer – wir würden uns über mehr Frauen in den fensterlosen Informatik-Hörsälen freuen! (In den (g)rauen Redaktionsstuben übrigens auch!)) sind Tink-Mitglieder, möchten in diesem Artikel aber nicht namentlich genannt werden, weil das Projekt noch in der Beta-Phase steckt und bei schlechtem Wetter noch etwas wankelmütig durch die Weiten des Internets taumelt.
Genug des Klamauks. Sicher willst du wissen, was wir mit den 30‘000 Franken gemacht haben. Oder was die neue Webseite von Tink.ch zu bieten hat. Eine Einführung ins Software-Engineering.
Im Sommer vor einem Jahr wurde es unausweichlich: Tink.ch brauchte eine neue Webseite. Und zwar schnell. Die alte stammte noch aus den Anfängen des Internets. Von damals, als man mit Wordart und blinkenden Gifs noch die Leute beindrucken konnte. Ein für Tink-Verhältnisse gut bemessener Zeitplan und eine Projektgruppe wurden bestellt. Mit der Projektleitung wurden eben die beiden Informatik-Nerds betraut. Diese mussten erst Geld auftreiben. Natürlich konnten die das nicht alleine und wurden von anderen Mitgliedern unterstützt. Eine Crowdfunding-Kampagne spülte mehrere Tausend Franken in die Staatskassen. Stiftungen sprangen ein und private Sponsoren zeigten sich grosszügig. In einem 50-seitigen Konzept evaluierte die Projektleitung die verschiedenen technischen Systeme, skizzierten IP-Pläne und die Aufteilung der virtuellen Maschinen. Aber auch PHP-Frameworks und Backends wurden unter die Lupe genommen. Eine Umfrage unter den Mitgliedern sondierte die Bedürfnisse und das Budget gab die Möglichkeiten vor.
Offertenanfragen bei IT-Unternehmen holte man ein. Sitzungen wurden abgehalten. Zahlreiche. Dann erarbeitete die Firma Duotones auf unseren Vorgaben das neue Webseite-Design aus. Die Firma Rettenmund-Solutions setzte es um (oder ist immer noch dran). Eine Gruppe Studierender der Softwarecomposition-Abteilung der Universität Bern programmierte das Publikationssystem (genannt Publi+) neu. Während den Monaten legten auch die Projektleiter selbst Hand an, schrieben Codes und richteten Systeme ein. Neues Kernstück im Hintergrund ist das LDAP. Damit lassen sich die Logins sämtlicher IT-Systeme von Tink.ch zentral verwalten und implementieren die neusten Sicherheitsstandards im Netz. Darum herum haben wir ein Social-Intranet aufgebaut (humhub.org). Es ist das neue Büro von Tink.ch im WWW. Es umfasst Wikis, Timelinefunktionen, Umfragen, Kalender, Linksammlungen, virtuelle Räume und Foren. Weiter wurde die Dropbox durch ein servereigenes System (owncloud) abgelöst. Mit einem neuen Bildarchiv, welches mit dem Publikationssystem verbunden ist, können wir mit einem Minimum an Klicks Bilder archivieren, suchen, zuschneiden und für Artikel bereitstellen. Das Mailsystem wurde neu aufgesetzt. Mit einem Monitoring können die Systeme nun bequem überwacht werden. Ein RAID-1-System sorgt für einen verlustfreien Betrieb und ein Backupsystem kann im Notfall zeitnah eingespielt werden.
Und dann eben die neue Webseite. Das Typo3 traten wir in die Tonne und setzen seither auf das allseits bekannte Wordpress-Backend. Mit einem eigens programmierten Plugin können die Artikel aus dem Publikationssystem mit drei Mausklicks importiert und publiziert werden. Es ist vielleicht das effizienteste Publikationssystem der Welt. Damit haben wir viel Zeit für das eigentliche Kerngeschäft von Tink.ch geschaffen: Journalismus. Der Import von mehr als 7'000 Artikel ins neue System stellt uns immer noch vor technische Herausforderungen.
Demnächst folgt die Tink-App fürs Iphone und für Android. Bereits jetzt kommt die Webseite in neuem Gewand daher. Der Fokus liegt fortan auf dem Inhalt. Und wir wollen unsere Sprachregionen näher zusammenrücken. Wer es nicht explizit abwählt, wird mit Beiträgen in italienischer, deutscher und französischer Sprache bedient. Bilder erhalten mehr Gewicht und das alles ist für mobile Geräte optimiert worden. Die User können ihre Artikel mit der neuen Filter-Funktion selbst nach ihrem Gusto zusammenstellen.
Das alles war natürlich nur möglich, dank dem überdurchschnittlichen Einsatz aller Beteiligten, etwas Geld und ganz viel ehrenamtlicher Arbeit. Wir haben das zu Beginn mal aufgeschrieben. Während den ersten drei Monaten des Projekts wurden über 400 Stunden ehrenamtliche Arbeit geleistet.
Noch steckt die Webseite in der Beta-Version und die letzten Systeme werden hochgefahren. Um aber auch künftig mit der Zeit gehen und die ständig wandelnden und wachsenden Ansprüche, die an ein Online-Medium gestellt werden, erfüllen zu können, wird es auch in den kommenden Jahren viel Engagement, technisches Know-How, etwas Geld und vor allem kreative Ideen und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit brauchen. Dann kann Tink.ch ein Laboratorium für Online-Journalismus von jungen, engagierten Menschen sein. Wir haben jetzt den Grundstein dafür gelegt. Denn der Journalismus der Zukunft wird Hand in Hand mit der Informatik gehen müssen. Nicht nur mit Twitter, Facebook, Suchmaschinen oder elektronischen Archiven.