Recherche oder Ablasshandel? Eine verhängnisvolle Flugreise
Guest User
Der Recherchefonds von Junge Journalisten Schweiz will aufwendige Recherchen im Ausland ermöglichen. JJS-Mitglied Conradin Zellweger berichtet, wie aus einer Einladung zur Hochzeit eine Reportage für das Surprise Magazin wurde und was für eine Rolle dabei JJS spielte.
«Unser Problem ist, dass das Problem hier unsichtbar ist», sagt Marco der Fotograf in Rio am Strand zu mir. Wir sind an der Hochzeit eines gemeinsamen Freundes, der aus Brasilien kommt, jedoch in der Schweiz lebt. Er ist Umweltwissenschaftler, seine Frau auch. Für die Hochzeitsfeier sind ein Dutzend Menschen aus der Schweiz angereist. Darunter auch ich und der Fotograf. Mit unserer Flugreise haben wir alle zum Klimawandel beigetragen. Klimaschutz versus Freundschaft, darüber wollen Marco und ich eine Reportage machen.
Der Recherchefonds der Jungen Journalisten bezahlte uns rund 1200 Franken im Voraus für die Recherche. Sozusagen eine Garantie, falls wir es in den Sand setzen und die Reportage nicht verkaufen können. Ursprünglich planten wir eine multimediale Reportage. Ton und Video sollten das pulsierende Fest erlebbar machen. Mit einer Liste von möglichen Abnehmern waren wir nach Brasilien abgereist, inklusive einer etwas konkreteren Interessensbekundung der WOZ.
Doch vor Ort merken wir, die Multimedialität funktioniert nicht. Ton und Bild wirken nicht. Es passt nicht zum Thema. Die Stimmung kommt nicht rüber. Wir kippten Ton und Video. Bild und Text stellten uns vor genügend Probleme. Wie zeigt man Umweltauswirkungen? Wie zeigt man das Dilemma, dass man mit einem Flug seine Ökobilanz ruiniert um bei der Hochzeit guter Freunde anwesend zu sein? Hier in Brasilien müssen wir das Thema aktiv thematisieren. Von sich aus beginnt niemand darüber zu sprechen.
Zurück in der Schweiz ging’s ans schreiben. Ich merkte, dass es womöglich gut gewesen wäre, sich im Voraus auf eine Zeichenzahl zu einigen. Denn so schrieb die Reportage ohne Rücksicht auf mögliche Abnehmer. Sicher ein kapitaler Fehler, den ich mir nur erlauben konnte, weil unsere Spesen durch JJS gedeckt waren. Bei der WOZ klappte es dann auch prompt nicht: Zu lange, sprachlich nicht ganz passend.
Mit dem Magazin Surprise fanden Marco und ich vielleicht die passendste Abnehmerin überhaupt. Ein Projekt, dass sich für sozial Schwache einsetzt – da war unser Ablasshandel in guten Händen, da bereichert sich sicher niemand an unserem Experiment, das wir etwas auf Kosten der Umwelt gestartet haben. Mit der verkauften Reportage konnten wir gerade in etwa unsere Spesen wieder einnehmen, die wir vom Recherchefonds als Vorschuss bekommen haben. Aber eigentlich war es von Anfang an eine Mischrechnung. Wir wären ja sowieso an die Hochzeit geflogen.
Die Reaktionen auf unseren Artikel waren durchzogen. «Da kann ich nur den Kopf schütteln», «leisten einen aktiven Beitrag zur Klimazerstörung!», «schämt euch!» aber es gab auch positive Rückmeldungen. Das Thema polarisiert, denn es gibt kaum eine Lösung. Das macht es so spannend.
Das Projekt hat lange gedauert. Von der Idee bis zum Druck ist fast ein Jahr vergangen. Es war ein tolles Jahr, die Thematik ist immer und immer wieder in meinem Kopf aufgepoppt. Die Reportage wäre vielleicht auch ohne den Recherchefonds von JJS entstanden. Wir waren nicht zwingend auf den Vorschuss angewiesen. Doch die Zusammenarbeit mit JJS hat einen anderen, womöglich noch wichtigeren Effekt gehabt: Wir erhielten Ratschläge, unser Konzept wurde kritisch beäugt und mit dem finanziellen Vorschuss im Rücken konnten wir die Recherche am Strand in Brasilien nicht einfach versanden lassen. Der angenehme Zwang, etwas liefern zu müssen, war entscheidend.