Dolce vita und heftige Diskussionen am International Journalism Festival
Guest User
Alle Jahre wieder strömen Journalistinnen, Journalisten und Medienfachleute ins schöne Perugia an den Journalismus-Event des Jahres. Auch JJS war wieder mit von der Partie. Mitglied Daniel Faulhaber berichtet von seinen Eindrücken – und hält sich auch mit Kritik nicht zurück.
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- Streit. Zum ersten Mal in den letzten drei Jahren gabs Zoff zwischen Bühne und Auditorium und zwar zum Thema «Journalist Polarisation in Poland: Media Politics and History.» Packend unangenehm.
- Nischen. Die interessanten Panels werden oft nicht von den Big Names, sondern von Nischenbloggern und Lokaljournalisten bestritten.
- Stimmung. Unsere Bleibe über den Dächern Perugias, unsere aufgekratzten Gespräche beim Essen, zum Wein. Die Treppe an der Piazza. Enough said.
Flop
- Zu viel meta-Blah. Heisst: Zu wenig Diskussionen über Grundsätzliches: Wer sind wir eigentlich, die wir uns als JournalistInnen das Recht nehmen, die Welt abzubilden? Wie tun wir das und mit welchen Mitteln? Stattdessen oft so: «Mit diesen fünf Strategien ziehen Sie LeserInnen, aus den sozialen Netzwerken, ohne es wie Clickbait aussehen zu lassen.»
- Zu grosse Panels. Mag sein, dass die fünf Speaker zum Thema «Visual Misinformation» absolute Profis sind aber fünf Leute auf einem Panel zerfleddern jedes Thema.
- Das Wetter. Es war zu kalt.
So ein Rückblick ist immer selektiv, darum kurz zu mir: Ich bin vor allem Schreiber, kein Datenanalyst und auch kein Digitalstratege. Ich bin Lokaljournalist. Ich bin freischaffend, mache ab und an Fehler und werde dafür in den Kommentaren gevierteilt. Schreibe dann einen tollen Text und jeder will mein Freund sein. Ich bin wie die meisten JournalistInnen da draussen.
Als solcher sind mir Klassentreffen per se verdächtig: JournalistInnen, die JournalistInnen den Journalismus erklären, schleifts? Am Besten sprechen wir dann engagiert über Filterbubbles. Ironie off.
Glücklicherweise wird die Harmonie gestört. An besagtem Panel, das mich auch deshalb fasziniert, weil es Facetten einer verschobenen Selbstwahrnehmung unserer Zunft offenbart.
Wir JournalistInnen rapportieren Fakten und beanspruchen dabei bestenfalls, fair und ausgewogen, manchmal parteiisch, mindestens respektvoll zu sein. Aber stört uns jemand im Weltbild, schnauben wir laut durch die Nüstern. Wir: Das sind in diesem Fall eben die Bubble, die immer noch überwiegend weisse, männliche, links(-liberale) Mehrheit des westeuropäischen Journalismus.
Da sassen wir also. Und vor uns zwei polnische JournalistInnen, die dem politisch rechten Medienspektrum zuzuordnen sind, Jacek Karnakowski und Agnieszka Romaszewska-Guzy, sowie der Moderator Krszyszof Dcieciolowski und der Filmemacher Matt Subieta. Karnakowski sagte: «Polen ist nicht unterjocht von Political Correctness, Polen ist ein freies Land.» Romaszewska-Guzy sagte: «In Polen gibt es keine Zensur.» Karnakowski sagte: «Lange waren die Linken am Drücker, jetzt sind eben wird dran.»
Da schoss zwischen den Stuhlreihen prompt der Puls in die Höhe und zischend entfuhr Häme aus offenen Mündern. Polen, freie Medien? Pha! Rasch war die Zeit um, vor der Tür ging der verbale Schlagabtausch weiter. Man gab sich die Hand, ohne den Streit beizulegen. Es war wie im echten Leben. Unangenehm. Und ein bisschen entlarvend.
Dann gings ab über die Piazza, im Sala del Dottorato wurde über die handwerklichen Do‘s und Dont‘s von ReporterInnen in Krisengebieten diskutiert. Zum Beispiel über den Einsatz von 360°-Kameras: «Empathy engine or poverty porn?»
Gute Frage, weil sie technologische Perspektiven mit Haltungsfragen verflicht. Unser technologischer Werkzeugkasten ist mittlerweile unüberschaubar geworden, aber müssen wir die abgehetzten Gesichter im Flüchtlingsboot wirklich in 360°-Panoramaperspektive zeigen, nur weil wir können?
Wir diskutieren drüber. Abends beim Wein, zur Pizza, zum Grappa. Spätestens im «Il Cantinone» sehn wir uns alle wieder nachdem wir tagsüber den eigenen Interessen folgten. Und mit den Antipasti werden die grossen und kleinen Themen aufgefahren. Nichts, was hier keinen Platz hätte.
Schlussendlich noch auf ein Bier zur Treppe unter der Cattedrale di San Lorenzo wohin sie alle strömen, Studenten wie JournalistInnen wie die Bienen zum Honig. Oder nach hause, in dieses Airbnb mit den schönsten Dachterassen der Stadt, wo das letzte Glas Wein noch besser schmeckt und die Musik die Möbel gefährdet weil schlussendlich noch immer jemand drauf tanzt. Schön wars, bis zum nächsten Mal!
Und hier noch das offizielle Video zum IJF18 (am besten stumm schalten):