Auslandsjournalismus: Wir sollten aufhören, die Helfer im Hintergrund zu verschweigen
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Wer im Auslandsjournalismus komplexe oder gefährliche Recherchen realisieren will, ist auf lokale Mitarbeitende angewiesen. Über diese Fixerinnen und Fixer wird kaum gesprochen – zu selten erhalten sie die Anerkennung, die sie verdienen.
Von Christian Zeier, freier Journalist
Schreibe ich Reportagen aus Somalia, Nigeria oder Moçambique, publizieren die Magazine und Zeitungen meinen Namen und den des Fotografen. Was jedoch meistens fehlt: Der Name der Person, die massgeblich zum Gelingen der Recherche beigetragen hat. Fast alle Auslandsreporterinnen und -reporter sind bei grossen, komplexen oder gefährlichen Vorhaben auf die Zusammenarbeit mit lokalen Mitarbeitenden angewiesen. Diese sogenannten Fixer oder Fixerinnen (englisch auch Stringer) sind Einheimische, welche die Lage vor Ort besser kennen, die besseren Kontakte haben und einen besseren Zugang herstellen können als die ausländischen Journalistinnen und Journalisten. Kurz: Sie sind der Schlüssel für eine gelungene Auslandsreportage. Fixerinnen und Fixer organisieren Gespräche, Transport oder Sicherheit. Sie übersetzen wenn nötig, manche fahren sogar selbst – und manchmal, da sind sie die Einzigen, auf die man sich als Reporter im Feld verlassen kann.
Als ich in Kano, im Norden Nigerias, kurz vor den Präsidentschaftswahlen 2015 von einer Menschenmenge auf einen Polizeiposten gezerrt wurde, weil man mich der Spionage verdächtigte, war ich den Übersetzungs- und Verhandlungskünsten meines Fixers ausgeliefert. Nach Stunden des Verhörs verliessen wir den Posten ohne Geld- oder Gefängnisstrafe. Wäre ich alleine so glimpflich davongekommen? Ich denke nicht.
Manch andere Reportage wäre ohne Hilfe von Fixern nie zustande gekommen. Darunter auch die Recherche «Credit Crisis» , für die unser Recherche-Team REFLEKT dieses Jahr den Swiss Press Award und den Zürcher Journalistenpreis erhalten hat. Hätten wir ohne lokalen Mitarbeiter Zugang zu unseren Gesprächspartnerinnen und -partnern erhalten? Wohl kaum. Hätten wir gewusst, wie die moçambiquanischen Sicherheitskräfte operieren und wie wir unsere Interview-Partner schützen können? Eher nicht. Hätten wir Einsicht bekommen in die vertraulichen Kreditverträge der Credit Suisse? Kaum vorstellbar.
Und so geht es weiter. Meine Reportagen aus Somalia: ohne Fixer zu gefährlich. Vertrauen zu gefolterten Eritreern in Äthiopien aufbauen: ohne Fixer zu aufwändig. Berichterstattung aus Sierra Leone, dem Epizentrum der Ebola-Epidemie: ohne Fixer kaum möglich.
Die Bedeutung von Fixerinnen und Fixern im Auslandsjournalismus kann gar nicht überbewertet werden. In einem oft unbekannten Kontext ersetzen sie das Netzwerk, das man sich im eigenen Land während Jahren mühsam aufbaut. Gerade Reporterinnen und Reporter, die für wenige Wochen in teils gefährliche Gebiete reisen, sind auf diese Unterstützung angewiesen.
Das zeigte sich auch kürzlich beim JSS-Podiumsgespräch zum Thema «Berichten unter schwierigen Umständen» . Immer wieder war die Rede von lokalen Mitarbeitenden, die diesen oder jenen Job erledigt haben – doch wurde ihre Mitarbeit auch ausgewiesen? Kennt irgendjemand in der Schweiz den Namen einer Fixerin oder eines Fixers? Laut der wohl umfangreichsten internationalen Untersuchung zum Thema erwähnen 60 Prozent der befragten Journalistinnen und Journalisten selten bis nie die Namen ihrer lokalen Mitarbeitenden. Demgegenüber steht die Perspektive der Fixerinnen und Fixer: 86 Prozent wünschen sich, dass sie manchmal oder immer erwähnt würden.
Wir Auslandsjournalisten sollten aufhören, so zu tun, als ob es die Helfer im Hintergrund nicht gäbe.
Natürlich ist die Zusammenarbeit mit ausländischen Medienschaffenden meist ein gut bezahlter Job und natürlich profitieren viele Fixerinnen und Fixer von dieser Kooperation. Doch das ändert nichts daran, dass sie für ihre Arbeit Anerkennung verdienen. Wir Auslandsjournalistinnen und -journalisten sollten aufhören so zu tun, als ob es die Helferinnen und Helfer im Hintergrund nicht gäbe. Wir sollten transparenter sein und die Namen derer nennen, die unsere Arbeit ermöglichen. Vorausgesetzt natürlich, sie möchten das.
Besonders in heiklen Kontexten kann es für Fixerinnen und Fixer riskant sein, ihre Namen zu publizieren. Denn sie sind es, die in den Ländern leben, die ich als Reporter wieder verlasse. Sie tragen das Risiko drangsaliert, eingesperrt oder gar getötet zu werden. Dazu passt eine andere Zahl aus der erwähnten Befragung: Über 70 Prozent der Journalistinnen und Journalisten behaupten, dass sie ihre lokalen Mitarbeitenden nie oder sehr selten in Gefahr bringen. Mehr als die Hälfte der befragten Fixerinnen und Fixer sagen genau das Gegenteil.
Tipps zur Zusammenarbeit mit Fixern
Diese Liste ist unvollständig, Ergänzungsvorschläge gerne an post@christianzeier.ch
Fixer finden:
Mund zu Mund: Welche Kollegin, welcher Kollege hat schon mal in dieser Region gearbeitet? Wer könnte jemanden empfehlen?
Internationale Publikationen zum Thema lesen, AutorInnen anschreiben.
Spezialisierte Datenbanken (bspw. www.worldfixer.com).Auswahl:
Wenn möglich persönliches Gespräch führen. Das Bauchgefühl muss stimmen, Vertrauen ist A und O.
Abwägung zwischen Etablierten (für internationale Medien gearbeitet, grosses Netzwerk, teurer) und Newcomern (will sich beweisen, weniger Kontakte, günstiger).
Wichtig: Ein guter Fixer sagt auch, was nicht geht.Ziele & Rolle definieren:
Möglichst früh Arbeitsbedingungen festlegen. Welcher Lohn für welche Leistung? Spesen? Verfügbarkeit?
Ziele: Was kann der Fixer leisten? Was ist seine Rolle? Was kann/will er nicht machen? (Übersetzer, Fahrer, usw.)Arbeit vor Ort:
Bei Gefahr oder in unsicheren Situationen auf Fixer hören.
Klare Rollenverteilung: Du weisst, wie das Endprodukt aussehen soll und was du zu Hause abliefern willst; er weiss, was vor Ort möglich ist und was nicht.
Planänderungen mit Fixer besprechen.Publikation:
Fixer erwähnen (falls gewünscht und nicht gefährlich für ihn).
Entweder in Byline oder "Mitarbeit Recherche".
Bei Unsicherheiten und falls gewünscht: Text an Fixer schicken, Feedback einholen.Generell:
Fixer schützen – vor, während und nach der Zusammenarbeit!
Nie vergessen: Fixer bleiben im Land, über das du berichtest. Sie tragen allfällige Konsequenzen deiner Arbeit.
Arbeit auf Augenhöhe, Kommunikation. Siehe dazu auch: https://niemanreports.org/articles/fixing-the-journalist-fixer-relationship/
Christian Zeier hat diesen Beitrag anlässlich der JJS-Tagung zu Auslandjournalismus geschrieben. JJS hat keine Vorgaben zum Inhalt gemacht.
Website: www.christianzeier.ch
Kontakt: post@christianzeier.ch