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Die Branche, die auf andere Branchen mit dem Finger zeigt, muss auch auf sich selbst schauen

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Die Branche, die auf andere Branchen mit dem Finger zeigt, muss auch auf sich selbst schauen

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Der Verein Junge Journalistinnen und Journalisten Schweiz lanciert einen Schwerpunkt zum Thema «Mental Health» im Journalismus. Befragungen unter den Mitgliedern zeigen: Die Branche sollte offener über das Thema sprechen, sonst geht der Nachwuchs verloren.

Text: Karin A. Wenger. Mitarbeit: Simona Boscardin, Livia Schmid, Simon Schaffer, Gina Bachmann.

«Man geht in diesen Beruf, weil man dafür brennt. Man muss wahnsinnig aufpassen, dass man nicht verbrennt.» – Vinzenz, 33.

Wir wissen von mehreren Mitgliedern unseres Vereins, die ein Burnout erlitten. Ein Burnout mit unter 30.

Journalist:innen stehen unter Stress und die Arbeitsbelastung ist hoch – nicht immer, aber immer wieder. Als wir vergangenes Jahr die Work-Life-Balance und die psychische Belastung durch den Job auf unserem Instagram-Kanal erwähnten, wurden wir von Nachrichten überhäuft. Viele schrieben uns, sie seien froh, dass jemand über diese Themen, über die oft geschwiegen wird, offen spreche.

Seither haben wir uns viele Gedanken gemacht, viel diskutiert und Inhalte produziert. Und vor allem: Wir haben mit unseren Mitgliedern gesprochen. Entstanden sind Videos, Podcasts und Texte, in denen junge Journalist:innen erzählen, wie sich der Beruf auf ihre psychische Gesundheit auswirkt.

Vorweg: Nicht alle Menschen in der Medienbranche leiden. «Eigentlich haben Journalist:innen eine gute Stressresistenz, weil sie zufrieden sind mit dem Beruf», sagt Daniela Landau, Psychologin und selbstständige Personalentwicklerin. Sie bietet am MAZ Luzern Kurse zu Stressbewältigung und Ressourcenmanagement an.

Doch die Stressresistenz hat Grenzen. Das haben viele in der Branche bereits erfahren. Auch, weil sie die Grenzen der Belastung überschritten haben, wie wir in den Gesprächen erfuhren.

Die Probleme, von denen junge Journalist:innen erzählen:

Stress und lange Arbeitstage

«An einem Freitagabend um 19 Uhr wusste ich, dass ich bis am nächsten Tag noch sieben Texte schreiben muss. Ich konnte entweder zusammenbrechen und heulend dasitzen oder mich zusammenreissen. Ich arbeitete bis Mitternacht und war am nächsten Tag morgens um sieben schon wieder in der Redaktion.» – Vinzenz, 33

Breaking News, Content produzieren, Deadlines – die journalistische Arbeit ist oft mit Zeitdruck verbunden. Zusätzlich führen Sparmassnahmen dazu, dass viele junge Medienmacher:innen das Gefühl haben, keine Zeit mehr zu haben, um die Arbeit gut zu erledigen: «Zu merken, dass immer weniger Leute da sind, ist wirklich ein grosses Thema. Die Ansprüche werden aber nicht runtergeschraubt», sagt Konrad, 31.

Zudem gehören lange Arbeitstage für viele zum Alltag. In diversen Redaktionen ist es normal, Überstunden nicht aufzuschreiben. Gerade Junge verspüren manchmal den Druck, so ihr grosses Engagement unter Beweis zu stellen. Unter anderem, weil in der Branche Menschen, die ständig arbeiten, glorifiziert werden – auch von den Jungen selbst. «Man hat die ganzen Workaholics um sich herum, und man denkt vielleicht: Wow, die arbeiten immer. Du bewunderst sie für das, was sie erreicht haben», sagt Helena, 23.

Arbeit und Freizeit vermischen sich

«Ich war in den Ferien, zwei Wochen an einem Festival. Ich hatte das Handy verloren und das erste, was ich tat: Ich schrieb meinem Chef vom Handy meines Freundes, dass er mich unter dieser Nummer erreichen kann, wenn etwas ist.» – Helena, 23

Ein Problem, von dem JJS sehr oft hört: Junge Journalist:innen haben grosse Mühe, in ihrer Freizeit nicht zu arbeiten. Darunter leidet die Erholung. 24/7 online und erreichbar zu sein, wird von manchen Chef:innen erwartet: «Ich habe mir schon oft überlegt, Benachrichtigungen auf dem Handy auszuschalten. Aber das löst einen Stress aus, dass ich etwas nicht mitkriegen könnte. Einmal war ich krank und bekam dann zu hören: ‹Was, du hast die Mails nicht angeschaut?› Seither traue ich mich nicht mehr, komplett abzuschalten», sagt Noëlle, 25.

Immer informiert sein

Ein weiterer Grund, der dazu beiträgt, dass Junge in der Freizeit nicht abschalten können:

«Wenn ich am Montag ins Büro gehe, wird von mir erwartet, die Sonntagszeitungen gelesen zu haben. Und zwar nicht überflogen, sondern besonders jene Berichte, die mein Ressort betreffen, detailliert gelesen zu haben. Ich müsste in der Lage sein, eventuell eine Anschlussgeschichte zu machen. Das heisst: Mein Sonntag ist nicht nur Freizeit, sondern besteht auch aus Zeitungslesen. Zum grossen Teil macht mir das Spass, es kann aber auch belastend sein.» – Konrad, 31

Starke Identifikation mit dem Beruf

Die schlechte Work-Life-Balance mag auch daran liegen, dass sich die meisten Jungen mit ihrer Rolle als Journalist:in identifizieren. Sich abzugrenzen, fällt schwer. Besonders, weil viele mit Leidenschaft in den Beruf einsteigen:

«Es gab eine Zeit, in der ich alles aufgegeben habe, was ich neben meinem Job noch hatte. Irgendwann lag so viel Druck auf diesem Job, weil ich dachte: Wenn ich nicht Journalistin bin, wer bin ich dann?» – Helena, 23

Hohe Verantwortung und Angst vor Fehler

In manchen Redaktionen fehlt ein konstruktiver Umgang mit Fehlern. Bei jungen Journalist:innen kann das Angst und zusätzlichen Stress auslösen. Manche schlafen schlecht oder gar nicht, bevor ein Beitrag publiziert wird.

«Jedes Wort, das du irgendwie falsch schreibst, kann dir um die Ohren gehauen werden. Du musst extrem präzise sein, und das war insbesondere zu Beginn im Arbeitsleben als Journalist eine rechte Belastung.» – Konrad, 31

Druck, Dinge zu tun, die man nicht will

Einige unserer Mitglieder erzählen, dass es sie psychisch belastet, wenn sie Beiträge produzieren, auf die sie lieber verzichten würden:

«Ich habe auch schon Geschichten gemacht, bei denen ich merkte: Ich kann das nicht wirklich mit mir vereinbaren. Aber es ist vielfach Druck da, liefern zu müssen und gefallen zu wollen. Man ist mega jung und hat einen Chef, der sagt: Bis dann muss ich es haben.» – Simona, 25

Schlechte berufliche Perspektiven

«Ich habe nicht grosse Hoffnungen, dass ich irgendwann eine Vollzeitstelle finde, wo ich den Journalismus machen kann, für den ich brennen würde.» – Ursina, 27

Ein Problem, das von fast allen angesprochen wurde, sind die schlechten beruflichen Perspektiven. «Viele Journalist:innen, gerade auch jüngere, haben Angst um den Job. Man hört dauernd von Sparmassnahmen, was einhergeht mit dem Gefühl von Ohnmacht, weil man keinen Plan B hat», erklärt die Psychologin Daniela Landau. Dies führe zu einem toxischen Kreislauf: Um den Job zu behalten, arbeite man noch länger und genauer. Darunter leide wiederum die Work-Life-Balance.

Die Folgen

Das Paradoxe ist, dass wir einen Beruf in der Kommunikationsbranche ausüben, uns selbst wahrscheinlich als Kommunikationsprofis bezeichnen würden. Doch über uns und unsere Gefühle kommunizieren wir nicht. In den Newsrooms herrscht eine Kultur, die kaum Schwäche zulässt. Eine Meta-Studie aus dem Jahr 2012 zeigt, dass Journalist:innen glauben, das Vertrauen des Arbeitgebers und der Kolleg:innen zu verlieren, wenn sie offen über ihre psychische Erkrankung sprechen würden.

Probleme werden oft verschwiegen und normalisiert. Der Zustand von diversen unserer Mitglieder ist: Irgendwie kriege ich es schon auf die Reihe. Die Frage ist: Wie lange noch?

«Es gibt diesen unhaltbaren Mythos, Journalist:in könne man nur mit Leidenschaft sein. Ganz konkret: Diese Arbeitsbedingungen hält man oft nur mit Leidenschaft aus.» – Robin, 32

Mehrere Personen berichten uns von schlechtem Schlaf, hohem Koffeinkonsum, von vielen Zigaretten und viel Alkohol als Folge der beruflichen Belastungen. Wir haben Mitglieder, die unter Dauerstress leiden, sich schlechter konzentrieren können, Angst entwickelten, ein Burnout erlitten, an einer Depression erkrankten. Kurz: Sie verlieren die Freude am Beruf. Und damit verliert der Journalismus langfristig Talente, die ursprünglich mit viel Leidenschaft in den Job eingestiegen sind.

JJS findet: Die Branche, die auf andere Branchen mit dem Finger zeigt, muss endlich auch auf sich selbst schauen.

Über Probleme reden, und was dann?

Natürlich möchten wir uns nicht nur beschweren, sondern auch handeln. Was kannst du tun, wenn dich der Job belastet? Wie kannst du ein Burnout verhindern? Wie können wir die Stress-Kultur im Newsroom verändern? Und was unternehmen die Schweizer Medienhäuser konkret, um die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter:innen zu unterstützen?

Das alles wirst du in den nächsten Wochen von uns erfahren. Wir haben eine Menge geplant. Und wir werden uns nicht nur beschweren, versprochen.

Unsere Inhalte zum Thema Mental Health findest du ab sofort unter: www.jjs.ch/mental-health

Wir verweisen zudem auf das Mental Health Toolkit vom International Journalists’ Network.

* In einer früheren Version verwendeten wir das Wort “jammern” im letzten Zwischentitel. Wir haben das geändert, weil es nicht die passende Wortwahl war.